Verwaltung – Landwirtschaft – Sommerfrische - Oberesslingens Große Höfe
Christian Ottersbach
Einleitung
Sie sind heute fast vollständig aus Oberesslingens Ortsbild verschwunden: die großen Höfe. Dabei haben sie den Stadtteil vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert baulich geprägt. Und es ist einer von ihnen, der am Anfang der schriftlichen Überlieferungsgeschichte Oberesslingens steht: der Adelberger Hof. Er sollte später Berühmtheit erlangen als Wohnhaus des Schriftstellerehepaares Hermann und Marie Kurz.
Die großen Höfe – sie waren nicht einfach normale Bauernhöfe, sondern befanden sich in geistlichem, adeligem oder zumindest stadtbürgerlichem Besitz. Schon seit dem Mittelalter waren viele Bürger der nahen Reichsstadt Esslingen in Oberesslingen begütert. Seit dem späten 18. und besonders im 19. Jahrhundert erwarben vermögende Esslinger und vor allem Stuttgarter in Oberesslingen Häuser als Landsitze. Daran erinnert heute nur noch das einstige württembergische Zollhaus: Plochinger Straße 105.
Charakteristisch für einige der herrschaftlichen Anlagen war die Einfriedung durch Sandsteinmauern, durch die sich die Komplexe von den gewöhnlichen Hofstellen unterschieden. Hinter diesen verbargen sich oft große, formal angelegte Gärten mit Brunnenbecken, so am Weiler Hof oder an abgegangenen Haus Schulbergstraße 5. Letzteres war ein mächtiger zweigeschossiger Bau mit breitem, hohem Giebel und besaß einen Gewölbekeller.
Auf dem Urkataster von 1828 sind innerhalb der alten Ortsstruktur deutlich drei große, ummauerte Hofanlagen erkennbar. Links an der heutigen Kreuzstraße der Adelberger Hof, daneben das Haus Kreuzstraße 37, evtl. der Ottilienhof des Katharinenspitals, oben, am Ende der Straße das ausgedehnte Areal des Weiler Hofs. Ganz links oben am Ortsrand auf den Kelterwiesen steht der große Bau der Rechberger Kelter.
Dem Haus Schulbergstraße 5 war östlich vorgelagert ein Garten vorgelagert, der nach Ausweis des Urkatasters von 1828 formal angelegt war und ein Brunnenrondell im Zentrum der sich kreuzenden Wegeachsen aufwies. Mit dem Abbruch des bis zuletzt nicht wissenschaftlich dokumentierten Hauses 2003 verschwand nicht nur eines der größten historischen Bauernhäuser im Stadtteil, sondern auch der letzte noch existente Bauerngarten.
Der Adelberger Hof (Hindenburgstraße 159, 160, Kreuzstraße 29)
„Die Bedeutung dieses Hauses steht aus städtebaulichen, ebenso aus historischen Gründen ohne jeden Zweifel. Die besondere lokalgeschichtliche Bedeutung ist nachgewiesen.“Stadtarchivar Otto Borst in einem Schreiben an das Landratsamt Esslingen, 13. Mai 1966
Ins Licht der schriftlichen Überlieferung tritt Oberesslingen 1208, als Königin Irene (um 1177/80-1208) ihren Hof in „superiori Ezelingen“ an das Prämonstratenserstift Adelberg schenkte. Der Hintergrund war sehr ernst: Irenes Gemahl, König Philipp aus dem Haus Hohenstaufen (1177-1208), war im Dom zu Bamberg einem politischen Attentat zum Opfer gefallen. Mit der Schenkung suchte die aus Byzanz stammende, damals hochschwangere Königin das Seelenheil ihres toten Gemahls zu sichern. Die Fürsorge für die Toten, die Sicherung ihres Eintritts in das Paradies war für die Menschen des Mittelalters ein zentrales Anliegen. Die Geistlichen in Adelberg sollten daher für den ermordeten König beten und Seelenmessen halten.
Irene starb nur wenig später bei der Geburt ihres letzten Kindes auf Burg Hohenstaufen.
Der staufische Besitz in Oberesslingen wurzelte vielleicht in einem alamannisch-fränkischen Herrenhof. Grabungen im Nordwesten des Areals brachten 2007 Reste einer merowingerzeitlichen Hofgrablege zu Tage. Es wurden Waffen, ein Schildbuckel und Gürtelgarnituren des 7. Jahrhunderts gefunden, die auf adelige Besitzer schließen lassen.
Auf dem Blatt des Urkatasters von 1828 ist deutlich die Anlage des Adelberger Hofs zu erkennen, der innerhalb einer nahezu quadratischen Mauer mehrere Wohn- und Wirtschaftsgebäude umfasste. Beim Abbruch 1967 fand sich ein Kellereingang, der im Scheitelstein auf 1585 datiert war. Ein großes Gittertor zwischen verzierten Pfeilern ließ in den Hof ein. Es lag genau dort, wo heute die Hindenburgstraße die Kreuzstraße quert.
Das Wohnhaus des Adelberger Hofs von Südosten, Ecke Hindenburg-/Kreuzstraße, davor die bei Anlage der Hindenburgstraße versetzte Hofmauer, März 1964. In der Mauer sitzt ein offenbar in Zweitverwendung eingebautes älteres, vielleicht renaissancezeitliches Fenster.
Das Wohnhaus präsentierte sich als reich gestaltete Architektur des späten Klassizismus und dürfte in dieser Form in den 1830er- oder 1840er-Jahren gestaltet worden sein. Er war in verputztem Fachwerk über einem hohem Unterbau aus Sandsteinquadern erbaut. Links ist die Remise, davor die bei Anlage der Clara-/Hindenburgstraße versetzte Einfriedungsmauer.
Entwurf zum Umbau des Wohnstallhauses des Adelberger Hofes für den damaligen Besitzer Karl Kauffmann mit Lageplan der Gesamtanlage, 1907. Die neu geplante Clara-Straße (heute Hindenburgstraße) ist schon eingezeichnet.
Die Südostecke des Adelberger Hofs nahm eine Scheune ein, in deren eine Hälfte 1862 eine Wohnung eingebaut wurde (Kreuzstraße 29, Hindenburgstraße 160). Im Erdgeschoss befanden sich eine Werkstatt und ein Magazin sowie eine Mosterei, im Obergeschoss eine kleine Wohnung mit Küche und zwei Zimmern. Zur Kreuzstraße hin war der Bau aufwendig durch einen Sockel mit (vermutlich aufgeputzter) Quaderung gestaltet. Nördlich daran angebaut standen ein schmaler Schweine- und Geflügelstall und ein Waschhaus mit Back- und Obstdörrofen.
Aufriss der nördlichen Hoffront von Wohnhaus und Scheune auf der Südseite des Adelberger Hofes. Umbauentwurf für Karl Kauffmann, 1907. Der Stempel belegt die Genehmigung durch das Schultheißenamt Oberesslingen als damals zuständiger Baubehörde.
Vom Adelberger Hof zeugt heute so gut wie nichts mehr, vor allem aber ist nichts über seine mittelalterliche Baugestalt bekannt. Das Haupthaus wurde 1967 entgegen eines Gutachtens von Seiten des Stadtarchivs für den Neubau des Supermarkts der co op Schwaben abgebrochen. Reste der Mauer sind im Areal Hindenburgstraße 155 in einem Privatgarten erhalten, ebenso in der Nordwestecke noch ein kleiner achteckiger Gartenpavillon des späteren 19. Jahrhunderts. Die klassizistische Remise wurde erst jüngst abgebrochen. Teile der Sockelmauern und des Gewölbekellers sind noch vorhanden.
Das Gebäude Kreuzstraße 29 wurde 1952 vollständig umgebaut, erhalten haben dürfte sich der alte Gewölbekeller. Die Scheune wurde 1958 durch ein Wohnhaus ersetzt. Hier war lange Zeit das Oberesslinger Postamt untergebracht.
Foto: Mario Augustin, 2020
Oberesslingen ist eng verbunden mit Hermann (1813-1873) und Marie Kurz, geborene von Brunnow (1826-1911), und deren Tochter Isolde Kurz (1853-1944), die hier einen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbrachte – und zwar im Adelberger Hof. Der gehörte in den 1850er-Jahren Franz Hopf, einem Freund der Familie, der die Kurzens bei sich aufnahm. In Stuttgart waren damals schon die Mieten hoch, in Oberesslingen hingegen fand sich günstiger Unterschlupf. Hopf war ehemals Pfarrer gewesen, Landtagsabgeordneter und Zeitungsredakteur.
Familie Kurz wohnte wahrscheinlich in der zum Wohnstallhaus umgebauten Scheune des Adelberger Hofs.
„Wie schön kam mir der Garten am Haus vor. Armanidens Zaubergärten konnten nicht schöner für mich sein. Da spielten die Kinder ohne Zwang, wie losgelassene Füllen sprangen sie auf dem Wasen einher”, schreibt Marie Kurz in ihren Erinnerungen. Sie hatte ihren zukünftigen Mann 1848 bei einem Maskenball in Esslingen kennengelernt. Marie war von adeligem Stand, eine geborene von Brunnow. Ihrem Vater gehörte in Oberesslingen das einstige Zollhaus Plochinger Straße 105. Marie war wie ihr Mann als Schriftstellerin tätig.
Die Büste des Schriftstellers Hermann Kurz steht am Ende des Hermann-Kurz-Weges in der Gartenstadt. Sie stand seit 1913 in einer Mauernische des Adelberger Hofs. Geschaffen hat sie Erwin Dietbald Kurz (1857-1931), das jüngste von fünf Kindern der Familie Kurz. Erwin Kurz wirkte seit 1893 als Bildhauer in München.
Isolde Kurz sollte in die Fußstapfen der Eltern treten und als Autorin Bekanntheit erlangen. Über ihre Kindheit in Oberesslingen schrieb sie später: „In meiner Vorstellung ist es in Oberesslingen immer Sommer gewesen. O die Sommerseligkeit, als man selber noch nicht höher war als die reifen sonnenduftenden Ähren, zwischen denen man sich durchwand, um die blauen Kornblumen und die flammenden Mohnrosen herauszuholen. [...] Die güldenen Halme, das satte Blau und Rot der Blumen sahen mich daraus noch schöner an, durch einen tiefen Goldton aus der Farbenschale der Poesie verklärt.“
Das württembergische Zollhaus (Plochinger Straße 105)
Kaum jemand würde im Haus Plochinger Straße 105 ein ortsgeschichtlich bedeutendes Monument vermuten. Tatsächlich aber handelt es sich im Kern um das alte Oberesslinger Zollhaus.
1655 hatte Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg von dem Oberesslinger Bürger Wolf Holzlenert dessen Behausung erworben, die direkt an der Landstraße stand. Darin wurde nun der Zoll eingerichtet. 1730 war der Zoller auch Oberesslinger Amtmann und unterstützte den Pfarrer. Es handelte sich also um eine honorige Persönlichkeit. Das Steuerbuch von 1751 verrät: Der damalige Zoller Christoph Böglin verfügte damals über mehrere Häuser und Grundstücke in Oberesslingen.
Mit dem Anfall Esslingens an Württemberg 1802/03 wurde das Zollhaus überflüssig. Der amtierende Hauptzoller Johann Jakob Ziegler durfte bis zu seinem Lebensende 1809 dort seinen Wohnsitz behalten. Als er 1809 starb, wurde das Haus an den Chirurgen Eberhard Friedrich Raff verkauft, der auch gleich noch die Schildgerechtigkeit hinzuerwarb. Das heißt, Raff war nun berechtigt, im Haus einen Gasthof mit Ausschank einzurichten. Das versprach bei der günstigen Lage an der Landstraße lukrative Einnahmen. Es ist auffällig, dass das große Anwesen in der Folge innerhalb einer bestimmten Schicht von Beamten, Militärs, niederem Adel und Akademikern den Besitzer wechselte.Am 4. August 1838 erwarb der württembergische Oberst August von Brunnow (1781-1850) aus Ludwigsburg für 3600 Gulden das alte Zollhaus. Von Brunnow stand in württembergischen Diensten und war einer der wenigen Überlebenden des Russlandfeldzuges Napoleon Bonapartes von 1812, die in die Heimat zurückkehrten.
Vielleicht steckt der 1655 vom Herzog erworbene Bau noch im heutigen Gebäude. Doch gibt es Indizien, dass das bestehende Haus im Kern erst ins spätere 18. Jahrhundert datiert. So behauptet das Feuerversicherungsbuch von 1906, das Haus wäre damals 120 Jahre alt gewesen. Damit wäre es um 1786 errichtet worden.
Umbauentwurf zum alten Zollhaus für den Privatier Friedrich Metzger von dem renommierten Architekten Carl Junge, 1905.
Querschnitt zum Umbaugesuch Friedrich Metzgers von 1905. In Gelb ist markiert, was abgebrochen werden soll, in Rot der neue Dachstuhl mit Kniestock
In die Barockzeit würde der riesige Gewölbekeller passen. Er hat eine ungewöhnlich flache Tonne. Ihr Scheitel ist fast waagrecht. Das Gewölbe musste daher durch vier quer stehende Wandscheiben mit Rundbögen unterfangen werden. Sie tragen ihrerseits einen die ganze Gewölbelänge einnehmenden hölzernen Unterzug – eine eigentümliche und in Esslingen wohl einzigartige Konstruktion. Der Unterzug zeigt Zapflöcher für einstige Querstreben, ist also zweitverwendet.
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Der Grundriss zum Umbaugesuch Friedrich Metzgers von 1905 zeigt die Ausmaße des Kellers, der fast die ganze Länge des Hauses einnimmt. Aus der Mittelachse versetzt stehen drei Wandscheiben mit Durchgängen.
August von Brunnow hatten zwei Töchter, deren eine Marie hieß. Marie von Brunnow (1826-1911) verbrachte ab ihrem zwölften Lebensjahr die Sommer mit der Familie in Oberesslingen. Der Vater richtete sich im Haus eine Werkstatt zur Holzbearbeitung ein und zählte zu den Besuchern des Grafen Alexander von Württemberg in Serach. Marie durfte ihn zu den Dichterrunden begleiten und mag dort ihre ersten literarischen Impulse empfangen haben.
Aus dem Teenager wurde schließlich eine begeisterte Schriftstellerin. Sie verliebte sich in den von ihr bewunderten, dreizehn Jahre älteren Schriftsteller Hermann Kurz (1813-1873), dem sie auf einem Maskenball in Esslingen 1848 erstmals begegnete. Marie heiratete Hermann 1851, ein Jahr nach dem Tod des Vaters, den sie bis zuletzt in Oberesslingen gepflegt hatte
Umbauentwurf von Carl Junge für den Privatier Friedrich Metzger, 1905, Ansicht der Fassade zur Plochinger Straße, damals noch Obertorstraße.
Oberst von Brunnow war kein begabter Wirtschafter. Er hinterließ seiner Tochter Schulden. Das zwang Hermann und Marie Kurz 1852 zum Verkauf der Liegenschaft.
In der Folge wechselten die Besitzer rasch. Seine heutige Gestalt erhielt das Haus 1903 und 1905 durch einen durchgreifenden Umbau für den Privatier Friedrich Metzger, der das Haus 1898 erworben hatte. Die Pläne dafür arbeitet der renommierte Architekt Carl Junge aus. Er verlieh dem Haus ein neues Aussehen. Junge griff bewusst traditionelle Elemente heimischen historischen Hausbaus auf, so das Zierfachwerk im Renaissancestil. Der Schopfwalm erinnert an mittelalterliche Dachformen.
Eckdetail des ausgeführten Baus. Schopfwalm und über Eck gesetzte Fenster mit Zierfachwerk in der Art einer renaissancezeitlichen Bohlenstube wecken Assoziationen an den spätmittelalterlichen Hausbau Schwabens.
Seit den 1960er Jahren wohnte Dr. Konrad Finckh im alten Zollhaus. Finckh war eine engagierte Persönlichkeit und nach dem Ersten Weltkrieg auch politisch aktiv. Er war u.a. Mitglied im Arbeitersamariterbund. 1935 wurde Finckh wegen seiner politischen Gesinnung denunziert, verhaftet und kurzfristig inhaftiert, kam aber auf Vermittlung wieder frei. Seine Frau unterstützte die in Oberesslingen in Haft gehaltenen Zwangsarbeiter, in dem sie den schlecht versorgten Leuten auf dem Weg zur Fabrik in der Plochinger Straße Obst zusteckte.
Der Rechberger Hof (Haldenstraße 29, 31)
„Die Gräffl. Herrschafft Rechberg und der Spittal Eßlingen haben eine aigne Källter alhier, und seind dieselbe auch in allem allein zuerhalten schuldig; Es ist aber niemand darin gebannt, sondern es mag dareinfahren, wenn es beliebt.“
Auszug aus dem Oberesslinger Lagerbuch, 1701 (StAE, GA OE 766)
In der Haldenstraße steht ein breit gelagertes Gebäude mit hohen Giebeln aus Bruchstein: Es handelt sich um die einstige Oberesslinger Kelter im Areal der ehemaligen Kelterwiesen. Diese Kelter befand sich im Besitz des Kirchenpatronats über die Oberesslinger Martinskirche. Das Patronat teilten sich die Grafen von Rechberg und das Esslinger St. Katharinenspital.
Die Grafen von Rechberg hatten das Patronat über die Oberesslinger Pfarrkirche 1360 von Württemberg erworben, verkauften davon aber u.a. 1464 einen Teil an das Esslinger Spital.
Dem Spital wie auch den Grafen von Rechberg standen als Patronatsherren der Frucht- und Weinzehnt zu.
1812 verkauften die Grafen von Rechberg ihre Patronatsrechte und ihren Anteil an der Kelter an das Königreich Württemberg. Dieses veräußerte den Bau schließlich in private Hände, schon 1824 ist ein Georg Adam Spieth als Eigentümer belegt.
Im Volksmund heißt das Gebäude heute „Rechberger Hof“. Unklar ist aber, ob es einen richtigen Verwaltungshof der Grafen von Rechberg in Oberesslingen gab.
Der Rechberger Hof von Südosten mit seinem mächtigen Bruchsteingiebel und dem später vorgesetzten kleineren Wohnhaus.
Er entstand 1583. Das belegen nicht nur Arbeitsverträge mit dem Maurer und dem Zimmermeister aus jenem Jahr, sondern auch die dendrochronologische Untersuchungen der Bauhölzer. Der Neubau wurde gemeinsam vom Spital und den Grafen von Rechberg finanziert. Nach älterer Überlieferung wurde im Haus ein auf 1546 datierter Stein gefunden – vielleicht vom Vorgängerbau.
Hinter den Putzfassaden schlummert eine Fachwerkkonstruktion der Renaissancezeit. Riesig ist das Dach des Hofes, unter dem sich eine Kelterhalle mit drei Bäumen befand.
Ungewöhnlich ist die Konstruktion: Zwischen den beiden mächtigen Wandscheiben aus Bruchstein steht nämlich kein Massivbau. Vielmehr sind die heute verputzten Wände ursprünglich in Sichtfachwerk mit gebogenen Fußstreben errichtet worden. In den unteren Bereichen wurde das Fachwerk mit Bruchstein ausgefacht. Die oberen Gefachreihen waren mit Gitterstäben versehen. Sie dienten als Licht- und Luftöffnungen.
Längsschnitt durch die Rechberger Kelter mit den verschiedenen Bauphasen. Gut zu sehen ist das renaissancezeitliche Fachwerkgerüst mit dem Dachstuhl.
Querschnitt durch die Rechberger Kelter.
Grundriss des Erdgeschosses mit den drei erst im 19. Jahrhundert eingebauten kleinen Gewölbekellern.
In der Kelterhalle standen drei große Kelterbäume zum Pressen des Weins. In einer Ecke des Baus befand sich das Kelterstüblein, in dem der Zehnte verrechnet wurde.
1824 wurde an den Südostgiebel ein kleines Wohnhaus angebaut. In die Kelter selbst wurde 1866 ein zweigeschossiger Wohnteil eingebaut. Damals gab es nur noch einen Kelterbaum im Haus.
Auffällig sind die schlüssellochartigen Öffnungen in den Giebelwänden. Sie ähneln zeittypischen Schießscharten für Feuerwaffen, dürften aber hier der Lüftung gedient haben. Möglich, dass man sie als Ausweis des herrschaftlichen Charakters dieser Kelter in Schartenform gestaltete. Sie befand sich ja im Besitz einer wichtigen schwäbischen Adelsfamilie.
Oberesslingens „Schlößle“ – der Weiler Hof (Diakonissenweg 2)
Ein Schloss hat es in Oberesslingen nie gegeben. Gleichwohl nannte der Volksmund den Komplex des Weiler Hofes in späterer Zeit gerne „Schlößle“, weil es sich um ein vornehmes Haus mit sehr großem Garten handelte. Der Garten ist bis heute vorhanden, bekannt unter dem Namen „Diakonissengarten“.
Der Weiler Hof gehörte dem Kloster Weil südwestlich der Reichsstadt Esslingen, heute der gleichnamige Stadtteil mit den Resten des königlichen Gestüts. Er ist erstmals 1442 fassbar, als die Priorin den Kornhof, genannt „der von Wyler Hof“ einem Pächter als Erblehen übergab. Das Kloster – und nach der Reformation die herzogliche Kellerei – vergaben den Hof auch in der Folge an Privatleute, vorzugsweise honorige Einwohner. So hatte 1527 der Oberesslinger Schultheiß Symon Rund den Hof zu Lehen.
Unter den vielen wechselnden Besitzern ist 1734 erstmals eine adelige Person zu finden: Heinrich Reinhardt Freiherr von Röder (1697-1756). Er war Oberstallmeister Herzog Carl Alexanders und hatte den Hof bis 1739 in Besitz. Dazu hatte er offenbar zeitweilig von den Grafen von Rechberg als Lehen das Patronat über die Martinskirche erworben, der er als Patronatsherr einen kostbaren Abendmahlskelch mit Inschrift und seinem Wappen stiftete.
Die Gebäudegruppe wurde 1979 abgebrochen.
Situationsplan des Weiler Hofes als Diakonissenanstalt 1885.
Der Komplex war von einer hohen Sandsteinmauer eingefriedet. Er bestand aus dem Haupthaus, das mit einer Veranda auf den Garten hin nach Süden orientiert war. Es war ein verputzter Fachwerkbau. Dahinter erhob sich mit hohem Giebel ein breit gelagerter Scheunenbau, ebenfalls verputzt. Er wurde irgendwann zu Wohnzwecken ausgebaut. An ihn schloss nach Osten ein niedriger, zweigeschossiger Flügel an, dem später ein kleines Gewächshaus vorgelegt wurde. Er diente u.a. als Wasch- und Backhaus.
Gartenseite des Hauptbaus mit Veranda, im Vordergrund der Springbrunnen des formal angelegten Gartenparterres.
Fassadenaufriss zum Dachausbau des vorderen Wohngebäudes für Staatsrat Adelung, 1868
Ab 1803 war der Weiler Hof durchgehend im Besitz von Adeligen oder Beamten. 1861 erwarb der Kammerherr Königin Olgas, der Staatsrat Nikolaus Michael von Adelung (1809-1878), den Hof. Von Adelung war als Sekretär der Zarentochter 1848 nach Württemberg gekommen. Er ließ 1863 gartenseitig einen offenen „Pavillon mit Balcon“ an das Haus anbauen und 1868 durch den Stuttgarter Architekten Schaber das Dachgeschoss ausbauen. Dabei wurde dem Haus zur Gartenseite hin ein flach gedecktes Zwerchhaus aufgesetzt. Erst damit wandelte sich das bäuerlich geprägte Anwesen zu einem noblen Herrenhaus. Hier empfing der Kammerherr seine Königin zum Kaffee auf der schattigen Terrasse.
Grundriss des Dachgeschosses zum Ausbau unter Staatsrat Adelung, 1868
Der obere der beiden Keller in Richtung des Kellerhalses.
Nach dem Abbruch bezog man die beiden Gewölbekeller in den Neubau einer Wohnanlage ein. Die beiden Räume liegen auf unterschiedlichen Niveaus und sind durch einen gewölbten Treppengang miteinander verbunden. Beide Keller scheinen zeitgleich errichtet worden zu sein; zumindest gibt es im Mauerwerk keine Hinweise auf ein unterschiedliches Alter der beiden Räume.
Grundriss der Kelleranlagen, erstellt anlässlich des Umbaus zum Luftschutzbunker, 1938
Schnitt durch die Keller anlässlich der Planung zum Ausbau als Luftschutzbunker, 1938
Der untere Keller, im Hintergrund der Verbindungsgang zum oberen Kellerraum
Postkarte mit Ansicht der Gartenfassade des Hauptgebäudes, vor 1914.
Im Jahr 1880 erwarb die Ev. Diakonissenanstalt Stuttgart das Anwesen und richtete dort das Diakonissenheim „Elim“ ein. Fast hundert Jahre bewohnten Diakonissen den Hof und bewirtschafteten den großen Garten, der nicht allein der Zierde, sondern auch als Anbaufläche für Obst und Gemüse diente
Vor dem Haupthaus erstreckte sich bereits vor 1880 ein formaler Garten mit Wegekreuzen und einem runden Springbrunnen in der Mitte. Er dürfte schon im 18. Jahrhundert angelegt worden sein und ist auf dem ältesten Plan Oberesslingens 1828 bereits vorhanden. Daneben lag eine große Obstwiese. Es gab Gartenlauben, Rosenbögen, Rosenbüsche und einen weinberankten Laubengang.
Ansicht des 1885 erstellten gartenseitigen Anbaus von der Seite, ca. Mitte 20. Jahrhundert.
Innerer Hof, Nordflügel mit Gewächshaus und Frühbeete, ca. 1970
Die Diakonissen leisteten in Oberesslingen seelsorgerische und soziale Fürsorge. Ihr Heim diente als Schulungsort, dann Erholungshaus und zuletzt bis 1973 als Altersheim für die Schwestern.
1978 erwarb die Stadt das geschichtsträchtige Anwesen, dessen historisch-ideellen Wert für Oberesslingen sie aber nicht erkannte. Der umfangreiche, stattliche Komplex musste Wohnungsneubauten weichen – ohne jede wissenschaftliche Untersuchung des Bestandes. Der Garten wurde auf Initiative des Bürgerausschusses 1983/84 zum öffentlichen Park, in dem jetzt Kinder spielen. Für viele ältere Oberesslinger hingegen ist der Diakonissengarten bis heute ein Erinnerungsort an ein verlorenes Paradies.
Der verlorene Hof: der Ottilienhof
Der angeblich größte Hof in Oberesslingen war der St. Gilgen- oder Ottilienhof, benannt nach dem Hl. Ägidius. Er gehörte dem Spital St. Katharina in Esslingen und besaß ein Gegenstück in einem gleichnamigen Hof in der Reichsstadt, nach dem heute noch ein Esslinger Innenstadtplatz benannt ist.
Das Spital hatte in Oberesslingen umfangreichen Güterbesitz: Von 802 Morgen des Oberesslinger Feldes gehörten allein 222 dem Spital. Der Oberesslinger Ottilienhof wurde als „unterer“ Hof bezeichnet, um ihn vom Oberhof abzugrenzen, der sich ebenfalls in Spitalbesitz befand.
Über die Lage des Oberesslinger Ottlienhofs ist bisher nichts bekannt. Aber es gibt eine Auffälligkeit: Direkt neben dem Adelberger Hof lag nach Ausweis des Urkatasters um 1828 noch ein weiterer großer Hof, nämlich das bis heute existente Haus Kreuzstraße 37. Wie der Adelberger und der Weiler Hof war das quadratische Areal durch eine Mauer aus Sandsteinquadern eingefriedet. Reste davon stehen bis heute.
Das Haus Kreuzstraße 37 präsentiert sich heute als klassizistischer Bau aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einer Verschieferung von 1890. Es gehörte 1856 dem Schäfer Lucas Oettinger.
Unter dem Haus liegt ein großer Gewölbekeller. Er ist eindeutig älter, denn er steht quer zum Hausgrundriss.
Die Wand, in der dieses Tor sitzt, scheint nachträglich als neue Wand eingebracht worden zu sein, darauf weisen Baufugen hin. Der Keller dürfte also deutlich größer gewesen sein und über die Trauflinie des heutigen Hauses weiter nach Westen gereicht haben. Der existente Kellerhals mit kleinem Vorkeller, zugänglich von der Straße und dem Hausflur, ist erst nachträglich beim Neubau des Hauses als zweiter Zugang angelegt worden. Es ist durchaus möglich, dass es sich bei diesem Komplex um den Ottilienhof gehandelt hat.
Burgstall und Spitalhof: der Oberhof (Oberhofweg 7, 11, 11a)
Oberhalb von Oberesslingen liegt der Oberhof. Ursprünglich handelte es sich dabei um einen Hof des Esslinger St. Katharinen-Spitals.
Hervorgegangen ist der Hof sehr wahrscheinlich aus einer Burg der Herren von Backnang, welche diese hier über dem Neckartal im 13. Jahrhundert gegründet haben. 1308 wird er eindeutig als „Hof zum Burgstall“ bezeichnet. Diese Burg sichert die alte Aufstiegsstraße auf den Schurwald, die heutige Oberhofstraße.
Die Söhne Alberts von Backnang schenkten eine Hälfte des Oberhofs – vermutlich der alte Wirtschaftshof der Burg – schon 1301 an das St. Katharinen-Spital. Es erwarb später auch noch die andere Hälfte.
Das Spital musste den Hof in Folge von Geldnot 1693 an das Kloster Kaisheim verkaufen. 1787/88 erwarb die Gemeinde Oberesslingen das Hofgut und verkaufte es 1797 weiter an den Bauern Philipp Daniel Dinkel.
Auf dem Urkatasterblatt von ca. 1823 ist der Oberhof als ummauerte Anlage an der Aufstiegsstraße zum Schurwald gut zu sehen. Teile der Mauer stehen noch. Der Hof war wohl ursprünglich teil einer Burg der Herren von Backnang, welche den Weg sicherte.
Von der Einfriedung stehen noch Reste der westlichen Mauer, die sich weit hangabwärts nach Süden zieht. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts existierte das große Hoftor mit seitlicher Mannpforte, das sich auf der Ostseite befand.
Von den mittelalterlichen Gebäuden zeugt heute nichts mehr. Der große, langgestreckte Neubau des Haupthauses von 1598 brannte 1912 ab. An ihn erinnert nur noch die in das an der Brandstelle 1913 erbaute Wohnhaus Oberhofweg Nr. 7 eingesetzte Wappentafel mit einer Bauinschrift. Sie zeigt die Spitalwappen und nennt die für den Neubau verantwortlichen Spitalbeamten und Stadtoberen. Ganz unten sind Vater und Sohn Michel Fladenesser erwähnt: Sie waren reichsstädtische Werkmeister und für die Ausführung des Baus verantwortlich. Die beiden Steinmetzzeichen zwischen den Wappen sind ihnen zuzuordnen.
Der Grundriss für den Neubau 1913 an Stelle des abgebrannten Haupthauses.
In den Neubau wurde ein Keller des Vorgängers integriert, ein weiterer findet sich unter der Nr. 11.
Der Pfarrhof – Wohnhaus des Pfarrers (Keplerstraße 40)
Auch der Sitz des Oberesslinger Pfarrers bildete ein stattliches Anwesen.
Das bestehende Pfarrhaus datiert ins Jahr 1822/23. Es handelt sich um einen großen Bau mit Halbwalmdach, der ganz mit Schiefer verkleidet ist. Kubatur und Dachform stehen dabei noch ganz in der Tradition spätbarocker Amtsbauten, zu denen auch die Pfarrhäuser zählten. Gebäude dieser Art entstanden im Herzogtum Württemberg seit der Zeit Herzog Carl Eugens.
In den Dimensionen zeigte sich die herausgehobene Stellung des Pfarrers als Vertreter der gottgewollten Obrigkeit. Im Übrigen wurde Platz benötigt für die oftmals vielköpfigen Pfarrfamilien. Da dem Pfarrer auch ein Teil des Weinzehnten zustand, gibt es unter dem Haus bis heute einen Gewölbekeller. Die inzwischen völlig erneuerte Schieferverkleidung hatte einen Vorläufer aus dem Jahr 1889. Sie diente als Witterungsschutz für den Fachwerkbau.
Abseits stand aus Feuerschutzgründen ein eigenständiges Waschhaus mit Backofen.
„Hew- und Kleine Zehend ist dem Pfarrer alhier uff hießige Marckhung allein zuständig“, heißt es im Oberesslinger Lagerbuch von 1701. Folglich benötigte der Pfarrer einen Vorratsbau für diese Naturalabgaben. Daher stand parallel zum Pfarrhaus einst eine große Scheune, wie der Urkataster von 1828 ausweist. Sie war aus Fachwerk errichtet und hatte auch einen eingebauten Stall für das Vieh. 1890 hat man sie abgebrochen.
Auf dem Blatt des Urkatasters von 1828 ist deutlich zu erkennen, dass der Pfarrhof außer dem Wohnhaus auch eine parallel dazu erstellte große Scheune besaß.
Friedhofsmauer und Pfarrhaus von Nordosten.
Immanuel Gottlob Brastberger, Pfarrer in Oberesslingen 1745-1756; Porträt aus „Zeugnisse der Wahrheit“.
Ein Pfarrer ist erstmals 1280 namentlich fassbar: Meister Konrad. 1452 wirkte der Gelehrte Petrus Mayer als Dorfpfarrer. Er wurde als Verfasser theologischer Handschriften bekannt.
Oberesslingens bekanntester Pfarrer war Immanuel Gottlob Brastberger (1716-1764), der von 1745 bis 1756 die Pfarrstellen innehatte. Er war Verfasser einflussreicher Predigtbücher, die von frommen Protestanten bis ins 19. Jahrhundert gelesen wurden. Mit diesen Büchern wurde Brastberger zu einem der Begründer des äußerst einflussreichen Württemberger Pietismus.
Wie das mittelalterliche Pfarrhaus aussah, ist unbekannt. Beschwerden über das alte Pfarrhaus wurden im späteren 17. Jahrhundert laut. In einem Schreiben des Dekans heißt es, dass „kein elender Hüttle im ganzen Ambt unter allen Pfarrhäusern ist als dieses“.
Das wird den Ausschlag zu einem Neubau gegeben haben. 1686 legte Zimmermeister Hans Jakob Bertsch hierzu Pläne vor. Er sah ein Gebäude in reichem Zierfachwerk vor, das mit seinen Schmuckmotiven und seiner Konstruktion an Renaissancebauten der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg erinnert. Barocke Bauformen sind 1686 in Württemberg noch nicht angelangt.
Das Pfarrhaus sollte aus Fachwerk erstellt werden und zwei Stockwerke umfassen. Im Erdgeschoss waren eine Stube, drei Kammern und die Küche geplant, im Obergeschoss eine Stube und drei Kammern. Der Grundriss des Obergeschosses zeigt die Einteilung in ofenbeheizte Stuben und unbeheizte Kammern. Die kleinen Kreise in den Fenstern stehen für einzusetzende Butzenscheiden.
Abbildungen: Privat, Album Eva Ruoff, Mario Augustin, Christian Ottersbach, Michael Saile, Baurechtsamt der Stadt Esslingen am Neckar, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Bildarchiv (Foto: Klaiber), Landesarchiv Baden-Württemberg, Stadtarchiv Esslingen