Vom „Schwäbischen Arkadien“ zum Industriestandort
Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Neckartal um Mettingen eine landschaftliche Idylle. Seither prägen Industrie und Wohnbebauung sein Bild. Die Erschließung durch die Eisenbahn und die Ansiedlung der Baumwollspinnerei auf dem Brühl änderten daran noch wenig. Der Bau der Maschinenfabrik auf den Kiesäckern setzte die Verdrängung der Landwirtschaft durch Flächenverbrauch für Industrie, Handwerk und Wohnbebauung in Gang. Der heutige Wohnungsbedarf kann nicht mehr durch neue Flächen gedeckt werden. Daher wird die bestehende Wohnbebauung verdichtet und Flächennutzungen umgewidmet.
Es gibt auch heute noch landwirtschaftliche Fläche in Form von Äckern in der Talaue. Es bestehen aber Begehrlichkeiten für eine andere Nutzung. An den Talhängen, Wald und Weinberge (diese stehen unter Landschaftsschutz) besteht wenig Interesse. Die Frage, wie sich der Weinbau entwickelt und ob er zukünftig wirtschaftlich zu betreiben ist, ist die Frage.
Auch der Strukturwandel in der (Automobil-)Industrie hinterlässt Spuren. Wie wird es mit dem Auto weitergehen? Kommt der Elektroantrieb? Dann sind Technologien wie Metallguss und deren Bearbeitung nicht mehr gefragt. Die Graugießerei der ME ist nach rund 100 Jahren bereits stillgelegt worden. Wie lange wird die Aluminiumgießerei (auf dem alten Neckarbett) noch betrieben? Wohin die Reise geht, muss sich erweisen.
1800-1900 - Die Zeit der Industrialisierung
1817
Am 30. September erklärte König Wilhelm I. Weil zusammen mit Scharnhausen und Klein-Hohenheim zum königlichen Privatgestüt. König Wilhelm II baute später eine Pferderennbahn. Sie erstreckte sich bis zur heutigen Champagnestraße entlang der heutigen Weilstraße. Um 1933 wurde das Gestüt, wo Araberpferde gezüchtet wurden, auf die Schwäbische Alb nach Marbach verlegt. Das Gelände der Rennbahn wurde einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt. Am Fuß des Hangs wurden Schrebergärten angelegt.
1818/1819
Der Florentiner Baumeister Giovanni Salucci errichtete auf dem Gelände des Gestüts in Weil ein zweistöckiges Landschloss, das König Wilhelm II. in Auftrag gab. Salucci, der 1815 zum Hofbaumeister ernannt wurde, schuf neben diesem Landsitz zahlreiche Bauwerke, darunter die Grabkapelle auf dem Württemberg und das Schloss Rosenstein.
um 1840
Württemberg war noch kleinbäuerlich geprägt und wirtschaftlich und sozial rückständig. Durch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sollte die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage verbessert werden. Hierzu wurden mehrere Kommissionen gebildet. Sie befürworteten die Schiffbarmachung des Neckars und seiner Nebenflüsse durch Kanalisierung. Der Neckarkanal wurde allerdings erst 130 Jahre später fertig gestellt.
Alternativ setzte man auf den Bau einer Eisenbahn von Stuttgart über Ulm nach Friedrichshafen. Obwohl zunächst der Verlauf der Bahnlinie auf der linken Uferseite geplant war, entschied man sich damals, die Gleise in der Nähe der Ortschaften auf der anderen Neckarseite zu verlegen. Dies kennzeichnet den heutigen Streckenverlauf.
1845
Während der Ausbau des Neckars nur langsam Fortschritte machte, entwickelte sich die Königlich Württembergische Staats-Eisenbahn (K.W.ST.E.) rasant. Zunächst nahm sie zwischen Cannstatt und Esslingen Fahrt auf. (Die Strecke bis Plochingen wurde erst im Dezember 1846 fertiggestellt). Die Fahrzeuge wurden in den USA beschafft. Auffallend ist, dass man sehr fortschrittlich bereits vierachsige Großraumwagen erwarb.
1846/1847
Am 11.März 1846 wurde in Stuttgart die Maschinenfabrik Esslingen (ME) gegründet. Das Ziel war es Fahrzeuge und Material für den Eisenbahnbau nicht mehr aus dem „Ausland“ (alles außerhalb der württembergischen Grenzen) beschaffen zu müssen. Am 04. Mai 1846 wurde der Grundstein für die ME am rechten Neckarufer unterhalb der Esslinger Pliensaubrücke gelegt. Im Oktober 1847 lieferte die ME die ersten Lokomotiven an die K.W.St.E. Früh erkannte Emil Kessler, Direktor der ME die Möglichkeit bei Mettingen die Wasserkraft des Neckars zu nutzen.
1856
Gründung der Württembergischen Baumwollspinnerei auf dem Brühl, der damals noch gar nicht zu Esslingen, sondern zu Obertürkheim gehörte. Um die Wasserkraft des Neckars zu nutzen wurde die Neckarschleife bei Mettingen durch einen Kanal abgeschnitten und mittels eines Wehres das Wasser gestaut. In unmittelbarer Nähe zur Fabrik entstand eine Wohnsiedlung für Arbeiter und ihre Familien.
1865
In Mettingen wurde schräg gegenüber der evangelischen Liebfrauenkirche das Backhaus eingerichtet. Es war in zwei Bereiche unterteilt, die durch eine Mauer getrennt waren. In einem wurde Brot gebacken, der andere diente als Schnapsbrennerei. Es wurde genossenschaftlich betrieben.
1900-1950 - Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
1900
Um die Jahrhundertwende wurden Vermessungsarbeiten für die Neckarkanalisierung durchgeführt. Mettinger Einwohner arbeiten dabei als Hilfskräfte. Zu dieser Zeit kam die ME in Esslingen flächenmäßig an ihre Grenzen. Da hier eine weitere Ausdehnung nicht möglich war, suchte man alternative Standorte. Die Entscheidung fiel auf Mettingen. Der Ort lag zwar an der zweigleisigen Bahnlinie, hatte jedoch keinen Bahnhof.
1903
Das Bahnhofsgebäude entstand, Mettingen war aber letztlich nur ein Haltepunkt. Das Gebäude lag auf der dem Ort abgewandten Seite der Bahnlinie. Dies lag möglicherweise an der Pferderennbahn in Weil. Das Gebäude verlor mit dem viergleisigen Ausbau der Bahnstrecke 1923 seine Funktion. Es ist aber bis heute erhalten und hat die Adresse Burgunderstraße 6/1.
1912
Zur besseren verkehrstechnischen Erschließung wurde die Esslinger Städtische Straßenbahn (ESS) gegründet. Ein Gesellschafter war die Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB), die für den Bau und die Betriebsdurchführung verantwortlich war. Sie nahm am 24. Mai den Betrieb auf. In Mettingen gab es vier Haltestellen: Obertürkheim Stadtgrenze, Mettingen Weinstraße, Mettingen Maschinenfabrik und Mettingen Haus 23, das damals letzte Haus in Richtung Esslingen. 1920 wurde die ESS an das Stuttgarter Netz angeschlossen, nun konnte man direkt bis zum Stuttgarter Schlossplatz fahren.
1913
Die ME befand sich nun an ihrem neuen Standort in den Kiesäckern in Mettingen, am rechten Ufer einer Neckarschleife. In diese Zeit des Übergangs fallen zwei geniale Lokomotivkonstruktionen: Einmal die Württemberg C, eine Schnellzugschlepptenderlok (2’C1’h4v), die zwischen 1909 und 1921 in 41 Exemplaren gebaut wurde. Eine weitere von der ME gebaute Lok war die Württemberg K, eine Güterzugschlepptenderlok (1’F4hv) von der zwischen 1917 und 1924 44 Stück gebaut wurden. Einsatzgebiet war die Geislinger Steige. Beide Lokomotivtypen wurden bis 1955 von der Bahn ausgemustert.
1922/1923
Die Kanalisierung und Begradigung des Neckartals bei Mettingen veränderte den Lauf des Neckars nachhaltig bis heute. Er verlief nun parallel zum Kanal der Baumwollspinnerei. Etwa auf Höhe des heutigen Fußgängerstegs wurde eine Stahlgitterbrücke errichtet. Den Erdaushub verwendete man für den Bahndamm des viergleisigen Ausbaus der Eisenbahn und um die Flussschleife zuzuschütten. Mettingen erhielt seinen heutigen Bahnhof und gewann Flächen für Landwirtschaft und Siedlungsbau. Im Zuge einer Gebietsreform kamen Teile der Obertürkheimer Markung zu Esslingen. Die nicht mehr benötigte „alte“ Strecke wurde zwischen der Weinstraße und dem Ortsende Mettingen zurück gebaut. Reste der Strecke verblieben als Anschluss- und Abstellgleise. So hatte die Firma Haug & Cie. ein Anschlussgleis.
1920/1930er Jahre
Die ME verlor nach dem Übergang der K.W.ST.E. in die Reichsbahn ihren Status als Haus- und Hoflieferant. Sie war nun nur noch einer von vielen Lokomotivherstellern. Daher suchte man auch außerhalb dieses Geschäftsfeldes Betätigungsfelder. Die ME fertigte zwischen den Weltkriegen mit Batterie betriebene Elektrofahrzeuge. Aber auch elektrotechnische Anlagen wie Generatoren gehörten zum Sortiment. Staatsbahnaufträge beschränkten sich auf Tenderlokomotiven und Güterzugschlepptenderloks. Am Bau von Schnellzugschlepptenderloks war die ME nicht wirklich beteiligt.
1933
Der elektrische Bahnverkehr zwischen München und Stuttgart wird aufgenommen. Daher wird auch der Vorortverkehr auf elektrischen Betrieb umgestellt. Die ME lieferte hierfür 24 Trieb- und Steuerwagen, die in Esslingen auf dem ehemaligen Gelände der ME abgestellt und gewartet wurden. Die Fahrzeuge wurden um 1960 modernisiert und waren dann noch bis zum 30.09.1978 im Einsatz. Am 01.10.1978 nahm die S-Bahn mit Triebwagen der Baureihe 420 auf, die inzwischen auch schon Geschichte sind.
1939-1945
Im Zweiten Weltkrieg baute die ME vor allem Kriegslokomotiven der Baureihen 52 und 42. Da nach dem Krieg der Neubau von Lokomotiven untersagt war, musste sich die ME mit der Reparatur von Lokomotiven als Privatausbesserungswerk über Wasser halten.
1950 - heute - Mettingen, Weil, Brühl
seit 1950
Wohnbebauung und Verkehrsinfrastruktur wurden ausgebaut.
1961
Im Zuge der Krise in der Textilindustrie wurde die Textilproduktion in Brühl eingestellt, die Werkanlagen an die Daimler-Benz AG verpachtet. Die Anlagen der Württembergischen Baumwoll-Spinnerei und Weberei entwickelten sich zum Untertürkheimer Werksteil Brühl des Konzerns.
1964
Bau der Hanns-Martin-Schleyer-Brücke und Abriss der Brücke in Höhe des heutigen Stegs. Inzwischen hat sie selbst ihr Lebensende erreicht und wird erneuert. Im Rahmen dessen soll sie etwas kleiner werden. Es entstand dann noch Neu-Mettingen zwischen Siemensstraße und Auenweg.
1965-1969
1965 erwarb die Daimler-Benz AG 71% der ME, um die Werkanlagen für die eigene Produktion zu nutzen. Auch die Belegschaft der ME wurde vom Konzern übernommen. Im Laufe der Jahre wurden die Werksanlagen in einen verpachtungsfähigen Zustand versetzt. 1969 erfolgte dann die Verpachtung des gesamten Grundbesitzes und der Fabrikanlagen der ME an die Daimler-Benz AG.
1970
Die Cannstatter Straße wurde angelegt. Vor dem „Bahnhof“ entstand eine Unterführung mit Treppen und schiefen Ebenen sowie einer Toilette. Bis dahin wurde alljährlich Anfang September anlässlich der Kirbe der Platz vor dem Bahnhof zum Festplatz mit Kettenkarussell, Schiffschaukel, Schießstand und was dazu gehört. Jetzt verlegte man den Festplatz auf den Parkplatz des Sportvereins. Es dauerte nicht mehr lange und es wurden keine Fahrgeschäfte mehr aufgebaut. Am Rande von Weil wurde das Eberhard-Bauer-Stadion errichtet.
Heute
An der Max-Eyth-Straße gibt es ein kleines Gewerbegebiet. Mettinger Handwerksbetriebe haben ihren Standort dorthin verlegt. An der Rampe der Hanns-Martin-Schleyer-Brücke soll ein Umspannwerk entstehen, das ein Umspannwerk im Gelände der ME sowie in der Esslinger Innenstadt ersetzen soll. Die restliche, aktuell landwirtschaftliche, Fläche soll als Gewerbegebiet genutzt werden. Die landwirtschaftliche Fläche zwischen ME und Wohnbebauung ist sukzessiv zu Parkplatz geworden.
In Brühl ist anstelle der Baumwollspinnerei eine Wohnsiedlung. Man hat die Fläche immer wieder neu genutzt, so gibt es an Stelle zweier Hochhäuser heute ein Parkhaus. Das Werksgelände der Baumwollspinnerei wurde bis heute immer wieder umgebaut und den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst. Einzig das Fabrikgebäude der Spinnerei ist fast so erhalten, wie es errichtet wurde. Heute werden die Werksanlagen von Daimler genutzt. In Zukunft sollen hier Batterien für Elektrofahrzeuge gefertigt werden.
Abbildungen: Stadtarchiv Esslingen, Städtische Museen Esslingen, Privat