Ergebnis Pliensauvorstadt

"Zwischen Mietwaschküche und Weltfirmen - Die Pliensauvorstadt in den 1950er und 1960er Jahren."

Ausstellungseinheit Pliensauvorstadt, Foto:Daniela Wolf

Seit 2011 befassen sich interessierte Vorstadtbewohner mit der Stadtteilgeschichte. Das erste große Projekt dieser Geschichtswerkstatt, eine Ausstellung um die Jahreswende 2015/16, zeigte das „Leben auf der anderen Seite“ aus der Sicht des Pliensauvorstadtvereins von 1898 bis 1936. Von Anfang an spielten Gespräche mit Zeitzeugen eine wichtige Rolle zur Recherche von Fotomaterial und Informationen. Zuletzt gaben 2017 zwei Interviews, die lebhaft die 50/60ger Jahre vor Augen führten, den Ausschlag für den neuen thematischen Focus. Begeistert wurde über Läden, Betriebe und die Atmosphäre in der Pliensauvorstadt erzählt. Um ein fundiertes Bild zu erhalten, werteten die Werkstättler 2018 die Adressbücher im Stadtarchiv aus.

Sehr geschmunzelt wurde über manche gewerbliche oder berufliche Bezeichnung wie z.B. Flaschenbierhandlung, Bundesbahnoberlademeister, Knopfmacher oder Gasgeldkassierer. Als Bürgerausschuss und Stadtmuseum mit dem Projekt „Viele Teile, eine Stadt!“ auf uns zukamen, ergriffen wir gerne die Gelegenheit, das Thema „Einkaufen, Arbeiten und Freizeit im Stadtteil in den 50/60ger Jahren“ weiter auszuarbeiten, nun als Stadtgefährten. Für das Projekt konnte eine Mitstreiterin gewonnen werden. Die Ergebnisse präsentieren wir jetzt der Öffentlichkeit. Ein Seitenblick auf die heutige Zeit gibt einen Eindruck der Situation heute.

Dagmar Hanussek, Martin Huber, Irene Keller

 

Luftansicht der Pliensauvorstadt von Südwesten. In der Bildmitte die Pliensaubrücke.

Infrastruktur im Vergleich - 1950er/1960er Jahre und heute

Die Pliensauvorstadt - 1950er/1960er Jahre

Im Adressbuch von 1958 finden sich zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte im Stadtteil.

Neben zahlreichen Dienstleistungebetrieben, Lebensmittelgeschäften und Gaststätte finden sich dabei auch in großer Zahl größere und kleinere Firmen. Die Pliensauvorstadt zeigte damit auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine deutlich gemischte Infrastruktur, die durch Arbeiten, Wohnen und Leben an einem Ort gekennzeichnet war.

Die Pliensauvorstadt - Heute

2020 sieht die Infrastruktur in der Pliensauvorstadt wie folgt aus: 

17 Einrichtungen der Gastronomie oder Freizeiteinrichtungen/Treffpunkte
32 Gewerbebetriebe
17 Einzelhandelsgeschäfte
37 Dienstleistungsbetriebe

Damit hat der Stadtteil auch heue noch eine starke Durchmischung unterschiedlichster Betriebe zu bieten. 

Portraits einiger Firmen der 1950er und1960er Jahre

Elektromotorenfabrik Eberhard Bauer GmbH. Esslingen a. N.

heute: Bauer Gear Motor Altra Industrial Motion

Firmenkatalog, 1960er Jahre

Am 21. März 1927 übernahm der Unternehmer Wilhelm Bauer eine kleine Elektromotorenfabrik in Esslingen. Schon bald begann er, die Idee des Getriebemotors umzusetzen. Er koppelte einen mit hoher Drehzahl arbeitenden Elektromotor mit einem Getriebe. Dies war schon deshalb revolutionär, weil man bis dahin langsam laufende Antriebe nur durch die Untersetzung per Transmissionen, Ketten oder Riemen schaffen konnte. In den Anfangsjahren wurden in der kleinen elektromechanischen Werkstatt in der Weilstraße 29 passgenaue Einzelkonstruktionen gebaut. Mit seinem Erfindungsgeist machte sich Wilhelm Bauer um die Entwicklung der Getriebe- und Trommelmotoren verdient.

Anfang der 1930er Jahre litt das kleine Unternehmen unter der Wirtschaftslage. Als Wilhelm Bauer am 16. Januar 1936 starb, übernahm sein 21-jähriger Sohn Eberhard den Betrieb. Bereits 1947 eröffnete das erste Außenbüro, 21 weitere folgten. 1950 zog das Unternehmen in das Gewerbegebiet am Stadtteilrand. Bauer gelang in dieser Zeit der Aufbau einer Serienfertigung. Eine Pioniertat, da man bis dahin davon ausging, dass Getriebemotoren nur als
Einzelstücke herzustellen wären. Überhaupt erlebte das Unternehmen einen rasanten Aufschwung. Bauer expandierte ab Ende der 1950er Jahre auch im Ausland, bis 1987 wurden insgesamt elf Tochterunternehmen gegründet. Von einem Getriebemotor sprechen nur Wenige, dafür ist der Begriff »Bauer-Motor« längst zum Synonym geworden. Bedingt durch den Kostendruck der Mitbewerber wurden Anfang der 1970er Jahre Teile der Montage ins Ausland
verlegt. Auch ihre Zahl stieg rasch auf zwölf Betriebe. 1984 verstarb Eberhard Bauer im Alter von 69 Jahren. Sein Sohn Rainer übernahm die Firmenleitung.


1999 fusionierte das Unternehmen mit dem dänischen Konzern Danfoss und erhielt den neuen Namen Danfoss Bauer. Es ist im Bereich Getriebemotoren eines der international führenden Hersteller mit insgesamt rund 1.000 Mitarbeitern. 2002 stellte die wirtschaftliche Lage das Unternehmen vor eine große Herausforderung. Im Mai 2011 gab Danfoss bekannt, dass die Firma von Altra Holdings übernommen wurde. Sie firmiert nun unter dem neuen
Namen Bauer Gear Motor. Das Werk in der Pliensauvorstadt wurde 2014/2015 umgebaut.

Ein komplett neues zweistöckiges Bürogebäude wurde errichtet. Die 2000 erbaute Produktionshalle verdoppelte die Produktionsfläche. Im Jahr 2017 feierte das Unternehmen seinen 90. Geburtstag und ist heute ein weltweit tätige Anbieter hochwertiger und zuverlässiger Getriebemotoren.

Elektromotor der Firma Bauer, 1960er Jahre

Firma Bohner & Köhle

Firmengebäude in der Weilstraße, 1960er Jahre

Die Montagehalle der Firma Bohner & Köhle, kurz BOKÖ, beherbergt heute das Bürgerhaus Pliensauvorstadt und eine Kindertagesstätte. Von der Zeit, als hier hochwertige Maschinen gefertigt wurden, kündet noch der Laufkran unter dem Dachstuhl des Durchgangs von der Weilstraße zum Stadtteilplatz. Bekannt war die Firma für ihre mitlaufenden Präzisions-Drehbankspitze und die Senkrecht-Bohr- und Fräsmaschinen.
Die Esslinger Gründer Karl Bohner (1878–1948) und Karl Köhle (1878–1963) zogen 1920 aus der Innenstadt in das Gebäude Weilstraße 9. Trotz Wirtschaftskrise und Inflation entwickelte sich der Betrieb und sein Fertigungsprogramm. 1938 erwarben sie das Gebäude gegenüber, die Mayer’sche Werkzeugfabrik (heutiges Bürgerhaus), und daneben die Fischer’sche Gießerei.

Universal-Senkrecht-Bohrund Fräsmaschine, Ende 1960er Jahre

Bis in die Kriegsjahre wuchs der Betrieb auf 170 Mitarbeiter. Nach dem Krieg fing die Firma wieder fast von vorne an, da die amerikanische Besatzung die
Betriebseinrichtung demontierte und bis 1954 die Montagehalle sperrte. Doch die Firma baute sich beharrlich neu auf und brachte bald die hochwertigsten, »made in Germany«-Produkte auf den Weltmarkt. 1962 wurde eine zweite Werkniederlassung mit großer Werkshalle und zentralem Lager in Neuhausen auf den Fildern gegründet. Verwaltung und Entwicklung sowie die Fertigung kleinerer und mittlerer Werkzeuge, wie das Sortiment der Spannwerkzeuge
blieb in Esslingen.

In der Jubiläumsfestschrift 1969 gab die Geschäftsleitung einen vielversprechenden Ausblick in die Zukunft des hochqualifizierten Werkzeugmaschinenbaus. Das bewahrheitete sich für die nächsten zwei Jahrzehnte bis zur Krise und zum Konkurs in den 1990er Jahren.

Brücken-Apotheke

Schaufensterfront der Brücken-Apotheke, 1950er/1960er Jahre

Die Brücken-Apotheke in der Nellinger Straße 14 (heute Brückenstraße) ist seit den 1950er Jahren eine feste und unverzichtbare Institution in der Pliensauvorstadt. Dr. Alfred Müller betrieb die Apotheke von 1953 bis 1984, also 31 Jahre! 1964 wurde die Apotheke umgebaut.

Heute wird sie von Wolf-Dieter Bollacher geführt. Als einzige Apotheke im Stadtteil hat sie eine wichtige Funktion, die der Pliensauvorstadt hoffentlich noch lange erhalten bleibt.

Apotheker Dr. Alfred Müller in der Salbenküche, 1950er Jahre

Einzelhandelsgeschäft Burr

Planunterlagen aus dem Baugesucht von 1958, Frontansicht mit großem Schaufenster

Das Gebäude Stuttgarter Straße 5 wird erstmals 1896 in der Bauakte des Stadtarchivs erwähnt. Zunächst in Besitz des Restaurateurs H. J. Hipp erwarb es der Kauffmann Otto Buck vor 1912. Zusammen mit Otto Burr baute er 1953 im Erdgeschoss ein ca. 50 m² großes Ladengeschäft ein. Der Grundriss zeigt die konventionelle Anordnung eines Ladens der 1950er Jahre. Vor der Verkaufstheke die Kundschaft, dahinter die Regale, aus denen der Verkäufer die Waren nimmt und dem Kunden anbietet. Lediglich die großzügige Theke über Eck und die Doppeltür als Ein-/Ausgang verraten die neue Zeit.

Planunterlagen aus dem Baugesucht von 1958, Grundriss des Verkaufsraums

Nur fünf Jahre später erweiterte Otto Burr das Lebensmittelgeschäft und stellte es als einer der ersten Geschäftsleute in Esslingen auf Selbstbedienung um. Im Baugesuch heißt es: »In dem neu eingebauten Geschäft, das in Form eines Selbstbedienungsladens organisiert ist, werden außer dem Geschäftsinhaber und seiner Gattin voraussichtlich 3 weibliche Arbeitskräfte beschäftigt.« Auch noch unter seinem Sohn Wolfgang versorgte der Familienbetrieb auf zuletzt 800 m² Ladenfläche die Pliensauvorstadt und benachbarte Stadtteile bis September 2012. Eine 60-jährige Ladengeschichteging zu Ende. Besonders dem großen Angebot an regionalem Obst und Gemüse trauerte die Kundschaft nach. Heute steht an gleicher Stelle der im Dezember 2014 eröffnete Netto Marken-Discount als Neubau.

Fa. Eugen Klein OHG.Fabrik für Autozubehör – Esslingen a. N.

Firmengelände, 1950er Jahre

Eugen Klein gründete 1921 mit einem Mitarbeiter seinen Handwerksbetrieb zur Herstellung von Autoteilen. Bald gehörten auch verchromte Stoßstangen zum Fertigungsprogramm. Anfang der 1950er Jahre wurde die galvanische Abteilung neu ausgebaut. Das Hauptprodukt aber sind Gelenkwellen. In den 1930er Jahren als Kardangelenkwelle in Lastkraftwagen eingebaut, wird sie bis heute als Hochleistungsgelenkwelle in allen Variationen für jeden Verwendungszweck entwickelt, hergestellt und vertrieben. 1955 zählte die Belegschaft 200 Beschäftigte. Das Firmengelände in der Parkstraße 27A–29 erstreckte sich bis hinter die Häuser der Hohen Straße. Später wurde in Filderstadt ein zweites Werk gebaut. Noch heute steht die Eugen Klein GmbH für höchste Qualität und Präzision im Bereich Gelenkwellen.

Kardanwelle, 1950er Jahre

BETRIEBSAUSFLÜGE 
In den 1950er Jahren bestimmte die Firma das Leben der Beschäftigten. Lange Arbeitszeiten, Samstagsarbeit und kleine Gehälter machten den Betriebsausflug zu einem außergewöhnlichen, beliebten Ereignis für die Belegschaft. Noch konnten sich wenige ein Auto leisten, sodass gemeinsames Reisen und die regionalen Ziele ein besonderes Erlebnis waren. Die Firmenleitung zeigte sich großzügig. Das stärkte die Identifikation mit dem Betrieb, die Zusammengehörigkeit der Belegschaft und die gute Atmosphäre.

maschinengeschriebenes Programm zum Betriebsausflug 1950

Firma Müller und Einzelhandelsgeschäft Schmoll

Frontansicht des Gebäudes Parkstraße 24, 1950er Jahre

FIRMA MÜLLER

Im Jahr 2020 kann die Firma Müller Haustechnik in der Pliensauvorstadt auf eine über 90-jährige Firmengeschichte zurückblicken. Eugen Schmoll gründete 1928 in der Parkstraße 24 ein eigenes Zentralheizungsbaugeschäft. Bald darauf trat Wilhelm Müller in die Firma ein. Nach dem frühen Tod von Eugen
Schmoll übernahm er die Geschäfte, in Esslingen war er bekannt als »Dampfheizungs- Müller«. Ab 1950 arbeitete auch sein Sohn Gerhard mit. Die neuen Entwicklungen in der Heizungstechnik nach dem Krieg wurden erfolgreich umgesetzt. Weitere Meister wie Werner Winkler und Walter Nitschke verstärkten
Geschäftsführung und Werkstattbetrieb. Nach dem tödlichen Unfall von Gerhard Müller 1975 verkaufte die Familie Müller den Betrieb an Werner Winkler und Heinz Hafner, der seit 1970 zunächst als Lehrling dem Betrieb angehörte. Nach 40 Jahren Tätigkeit nahm Herr Winkler Abschied. Inzwischen ist schon der Sohn von Heinz Hafner, Andre, am Werk und hat die Betriebsführung übernommen, gerne noch begleitet von seinem Vater.

EINZELHANDELSGESCHÄFT SCHMOLL

In demselben Gebäude Parkstraße 24 gab es in den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre im vorderen Teil des Erdgeschosses zur Straße hin das Einzelhandelsgeschäft Schmoll. Ein eigener Eingang mit kleiner Außentreppe führte von der Parkstraße ins Hochparterre der »Milch- und Butterhandlung E. u. P. Schmoll«. Nach Aussage des Ehepaars Schreck, die gegenüber wohnten, ging das Sortiment weit über Milch und Butter hinaus, bis zu Waschmittel,
Nudeln, usw. Die Milch wurde offen verkauft. Die Kunden kamen mit Milchkanne. Frau Schreck: »(Der Schmoll) war ein ganz kleiner (Laden), der so voll war, dass man kaum rein konnte. Wenn 3 Leute drin waren, war der Laden voll.«
Doch beliebt war der Laden sehr, wichtig zur Versorgung des Stadtteils damals.

Firma Elektro Geng

1927 gründete Joseph Geng (*1873) den Betrieb in der Schlossberggasse in Esslingen. Rudolf Gottlob Geng (*1914) übernahm die väterliche Firma 1942. Sein Sohn Klaus (*1944) führte seit 1979 mit seiner Ehefrau Ingrid die Geschäfte weiter. Inzwischen ist der Betrieb in die Weilstraße 35 in die Pliensauvorstadt gezogen. Heute leitet Schwiegersohn Horst Patek mit Tochter Tanja in vierter Generation die Firma. Es werden Elektroarbeiten aller Art
ausgeführt sowie Leistungen der modernen Netzwerktechnik erbracht.

F. Gruner - Seifenfabrik Esslingen

Fabrikgebäude, Mitte der 1950er Jahre

1805 gründete Jakob Friedrich Gruner in Calw eine Seifensiederei. Um 1850 verlegte der Sohn Benedikt den Betrieb in die aufblühende Industriestadt Eßlingen. Er ließ sich von Frankreich und Holland zu neuen Produkten wie Marseillerseife und Schmierseife anregen, die Anerkennung auf internationalen Ausstellungen fanden. Der Absatz der neuen Produkte stieg rasant. Das wachsende Unternehmen fand ein neues Fabrikgelände auf der anderen Neckarseite und 1869 erfolgte der Umzug von der Milchstraße 2 in die Pliensauvorstadt neben dem Brückenkopf. Zum Firmenanwesen gehörte auch die Villa des Firmeninhabers.

Produkte der Firma Gruner: Grunella Seifenmühle, Grunella Seife und antiseptische Salbe

Ein Meilenstein in der Entwicklung der Firmenprodukte stellte 1905 die Erfindung von »Gruner’s Waschpulver« dar, das erste selbsttätige Waschmittel der Welt; ein weiterer Meilenstein war 1923 die »Grunella«-Feinseife, die erste praktisch wasserfreie Stückseife. In den 1930er Jahren wurden diese Produkte weiter verfeinert und die Herstellungsverfahren ausgebaut. Erst nach dem Krieg knüpften die Produkte mit dem Waschmittel »Regyl« (1948) oder mit»Wascho-Bel« (1951), ein Schnellwaschmittel mit natürlicher Seife, an die Möglichkeiten davor an. Mit der »Grunella-Seifenmühle« brachte die Firma 1954 einen Seifenspender auf den Markt, der sich rasend schnell im In- und Ausland verbreitete. Er trägt den Geist der 1950er Jahre in sich: pfiffig, sparsam, langlebig.

Villa Grunder in der Pliensauvorstadt, 2019

Bis 1972 bestand die Firma Gruner. Dann fusionierte sie mit »Enzian« in Metzingen. Das Firmengelände wurde abgeräumt und im Zuge der Sanierung »Soziale Stadt Pliensauvorstadt « entstand der »Spiel- und Bewegungsraum Stuttgarter Straße«. Die Villa Gruner steht heute unter Denkmalschutz. Sie wird 2020 renoviert und ist ein Zeugnis der großen Industriegeschichte der Pliensauvorstadt. 

Mietwaschküche und Badeanstalt

Mietwaschküche, im Vordergrund ein Mädchen und ein Junge, 1954

MIETWASCHKÜCHE

Gertrud Holder betrieb im Hof des Gebäudes Parkstraße 15 laut Adressbuch von 1958 eine Mietwaschküche mit Heißmangel. Herr Klaus-Peter Huschka hat uns freundlicherweise Fotos überlassen mit folgenden Zeilen: »Meine Großeltern wohnten in den frühen 50er Jahren im Haus der Metzgerei Hörner, Parkstraße 13.

Daneben befand sich die Waschküche. Die Fotos dürfte mein Großvater gemacht haben und sind mit 1954 datiert. Zu dem Zeitpunkt war ich, auf den Fotos neben einem Nachbarmädchen zu sehen, fünf Jahre alt.« In den frühen 1950er Jahren wohnten viele Menschen in sehr beengten räumlichen Verhältnissen,
z. B. Vertriebene, Flüchtlinge oder Evakuierte. Außerdem war die Anschaffung einer eigenen Waschmaschine sehr teuer. Privatpersonen wie Frau Holder, aber auch Gemeinden, richteten Mietwaschküchen ein. Ein Waschgang kostete ca. 2 DM. Die Benutzung eines Waschvollautomaten und einer Heißmangel
bedeutete eine große Erleichterung, brauchte doch das Waschen ohne Gerät einen vollen Tag. Erst nachdem Wohnungen gebaut wurden und in den Wirtschaftswunderjahren ein wenig Wohlstand Einzug hielt, konnte man sich eine eigene Waschmaschine leisten. Bis zur flächendeckenden Verbreitung dauerte es bis etwa 1970.

BADEANSTALT

Frau Emilie Rist betrieb in der Breitenstraße 30 laut Adressbuch von 1958 eine Badeanstalt. Klaus-Peter Huschka berichtet: »Meine Tante erzählte mir, dass es ein öffentliches Bad gab. Personen, denen keine Bademöglichkeit im eigenen Haus zur Verfügung stand, nutzten diese Einrichtung samstags. Auf Stühlen im Vorraum wurde gewartet, bis eine Wanne frei war. Wer es sich leisten konnte, gönnte sich einen Badezusatz, der aus einer Sprudeltablette mit
Fichtennadelduft bestand. Derartige Sprudeltabletten waren in den 1950er Jahren beliebt und vermittelten einen Hauch von Luxus.« In die neu gebauten Wohnungen nach dem Krieg z. B. den Hochhäusern Stuttgarter Straße 42–48, wurden Badezimmer eingebaut, in den Bestandswohnungen des Stadtteils aber waren sie größtenteils nicht vorhanden. Ein extra Zimmer, welches beheizt war und über einen Wasseranschluss verfügte, galt als unerreichbarer
Luxus, den sich kaum jemand leisten konnte. Im Laufe der 1960/70er Jahre wurden die Wohnungen nachgerüstet Damit gehörte die öffentliche Badeanstalt oder die Waschnische in der Küche, durch einen Vorhang abgeschirmt, der Vergangenheit an.

C. Stiefelmayer, Meßwerkzeuge

Firmengebäude in der Stuttgarter Straße, 1950er Jahre

Die Unternehmensgründung im Jahre 1874 ging mit der rasanten Industrialisierung im mittleren Neckarraum einher. Die metallverarbeitende Industrie arbeitete damals mit hölzernem Zollstock und Greifzirkel aus Holz als Messwerkzeuge. Stiefelmayer brachte die Schieblehren auf den Markt, erst in handwerklicher Herstellung, dann in Serienfertigung. So konnte die Präzision und die Schnelligkeit in der Metallbearbeitung wesentlich gesteigert werden. In den folgenden Jahrzehnten baute die Firma ihre Produktpalette stetig weiter aus. Sie reichte von Schieblehren, Schraublehren, Richtplatten, Anreißwerkzeuge über Winkel und Lineale bis zu Präzisionswasserwaagen und Zahnradmessmaschinen, z. B. für den Lokomotivenbau in der nahe gelegenen Maschinenfabrik Esslingen.

Firmenkatalog der Firma Stiefelmayer, 1924

Nach dem Krieg betrieb die Firma einen Laden in der Küferstraße. Es kamen optische Messwerkzeuge hinzu sowie in den 1970er Jahren eine weitere Innovation: die Stiefelmayer 3D Horizontalarm-Maschine mit Digitalanzeige zur dreidimensionalen Längenmessung mit Rechnerunterstützung, eingesetzt im Werkzeugbau und der Automobilindustrie. Am Standort Denkendorf bietet die Firma heute modernste kundenspezifische Lösungen in den Bereichen Messtechnik, Spanntechnik sowie Lasertechnik.

Produkte der Firma Stiefelmayer: Lehren, Lineale, Wasserwaage

Esso- und Araltankstelle

Esso-Tankstelle, 1946

ESSO-STATION

1928 wurde an der Kreuzung Stuttgarter Straße/Hedelfinger Straße eine Tankstelle eingerichtet, damals am westlichen Rand der Pliensauvorstadt. Bis 1958 stand sie unter dem Namen »Deutsch-Amerikanische Petroleumgesellschaft Hamburg«, ergänzt durch den ab 1950 eingeführten neuen Firmennamen ESSO (A.G) im Adressbuch. Direkt nach dem Krieg führte Eugen Väth als Pächter die Tankstelle. Bedient wurden die Stuttgarter und die Hedelfinger Straße mit jeweils einer parallelen Vorfahrt mit Zapfsäulen. 1953 baute E. Väth eine eigene private Tankstelle unweit der ESSO-Station in der Hedelfinger Straße 24. Pächter der ESSO-Tankstelle war nun Jupp Waletzki. Hinzu kam Personal für Serviceleistungen und zum Betanken der PKWs. 1958 konnte man an
der Tankstelle auch Süßwaren, Tabak und Zeitschriften erwerben.

1970 entwickelte sich die Tankstelle durch den Einbau einer automatischen Waschanlage und das erweiterte Angebot an Zubehör und Wartungsarbeiten
zum Esso-Servicecenter. 1978 erfolgte die Umstellung auf Selbstbedienung.

Die nächste Familiengeneration, Günther und Brigitte Waletzki, übernahm die Tankstelle 1989. Nach einem Umbau 1992 gab es eine Einweihungsfeier. Mit dem Einbau einer Flüssiggaszapfsäule wurde sie 2009 die erste Autogas-Tankstelle in Esslingen. Bis heute wird der Familienbetrieb im Herzen der Pliensauvorstadt erfolgreich und zeitgemäß geführt.

Aral-Tankstelle, 1950er Jahre

ARAL-TANKSTELLE
Mit dem Bau der linksufrigen Neckartalstraße 1952 entstand eine ausgebaute, direkte Verbindung zwischen Stuttgart und Esslingen. Aus diesem Grund erschien Eugen Väth der Bau einer eigenen Tankstelle an der Zufahrt, der Hedelfinger Straße, als eine logische Konsequenz. Alle PKWs von und nach Stuttgart fuhren hier vorbei. Wenige Jahre später wurde 1959 nach zweijähriger Bauzeit die B10 eröffnet und bis Anfang der 1970er Jahre nach Plochingenweitergeführt. Nun litt laut Frau Starke, der Tochter von Herrn Väth, die ARAL-Tankstelle darunter, dass der Stadtteil keine Zufahrt mehr zur B 10 hatte. Daher baute die Tankstelle ihren Service durch das Angebot von Werkstattleistungen aus. Am 30. April 1970 entstand hier die erste Autowaschstraße in Esslingen und die PKWs standen bis zur Pliensaubrücke Schlange. Noch im selben Jahr verpachteteE. Väth seine Tankstelle, die bis in die 1980erJahre existierte.

Friedrich und Paul Rapp

Familie Rapp, 1950er Jahre

Bis in die 1960er Jahre befand sich in der Berkheimer Str. 14 der Weinbaubetrieb Friedrich Rapp. Heute ist dort die Firma Glas Rapp. 1956 siedelte sich Paul Rapp mit Gärtnerei und Weinbau in der Parkstr. 151 (heute Eduard-Bauer-Str. 33) an. In den 1990er Jahren hat sich der Betrieb auf verzehrfertiges Gemüse spezialisiert. Gemüse aus der Region wird hier gewaschen, nach Bedarf zerkleinert, verpackt und versandt.

Internationaler Bund

Gebäude des Internationalen Bundes während des Baus, 1950er Jahre

Herr H. (85 Jahre alt) kam Anfang 1956 aus Zwickau, wo er als kaufmännischer Angestellterim Fahrzeugbau gearbeitet hatte, nach Esslingen. Er fand Unterkunft im neu erbauten Wohnheim des Internationalen Bundes für Jugend- und Sozialarbeit in der Parkstraße 98. Er wohnte dort in einem 2-Bett-Zimmer, bekam Frühstück und Abendessen. Der Pensionspreis betrug 144,– DM im Monat. In dem Haus gab es gemeinschaftliche Toiletten, Waschräume,
einen Speisesaal sowie Lese- und Aufenthaltsräume, außerdem eine Waschküche im Keller. Die Zimmer waren relativ einfach, aber zweckmäßig ausgestattet; von seinem ersten Gehalt kaufte sich Herr H. ein Radio. In dem Haus wohnten vorwiegend Studenten und junge Angestellte.

Aufenthaltsraum des Wohnheim, 1950er Jahre

Herr H. arbeitete als Kaufmann bei der Maschinenfabrik Esslingen in Mettingen. Sein Einkommen betrug ca. 300 DM im Monat. Mangels öffentlicher Verkehrsmittel ging er von der Pliensauvorstadt zu Fuß über die Wiesen nach Mettingen. Nach einem Jahr fand er ein eigenes Zimmer in Mettingen und zog später nach Oberesslingen.

Abbildungen: Stadtarchiv Esslingen, Städtische Museen, Privat; Objektfotografie: Michael Saile

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